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Das Gnadenbild auf dem Weißenstein in Tirol.

Kurzes Vorwort

Im Jahr 1847 erschien diese merkwürdige Erzählung von Ludwig Steub, (20. Februar 1812 in Aichach; † 16. März 1888 in München), deutscher Schriftsteller und Jurist. Sie stellt für Leifers und seine teils unerforschte Geschichte ein weiteres, außerordentlich wichtiges Zeugnis dar, da sie das damalige „Dörfchen“ und das Leben seiner Einwohner auf eigentümliche und gleichzeitig durchdringende Art beleuchtet.

Te ricordet… Laives / Leifers… aus alter Zeit bietet sie nach langer Zeit zum ersten Mal wieder seinen Lesern und Freunden an. Gute Unterhaltung.

Das Gnadenbild auf dem Weißenstein in Tirol.

Leifers an der Etsch. Im Herbst 1847.

Das Gnadenbild auf dem Weißenstein in Tirol.

In unserm Dörfchen, das sonst nur von der lebhaften Durchfuhr einige Bewegung erhält, herrscht seit längerer Zeit eine eigenthümliche Aufregung. Die Veranlassung hierzu gab ein Gnadenbild, dessen Geschichte wir gerne erzählen wollen:
Vor langen Zeiten also entstand auf einem nahe gelegenen gegen fünftausend Fuß hohen Berge, welcher eine herrliche Aussicht bietet, die Wallfahrt zu unserer lieben Frau auf dem Weißenstein. Ein frommer Bauer hatte nämlich auf höhere Eingebung an einer Stelle, die ihm die heilige Jungfrau selbst bezeichnet, sein Grabscheit eingestochen und ein Marienbild aus weißem Marmor gefunden. Wer dasselbe dorthin vergraben, ist bisher noch nicht erkundet worden, dürfte auch kaum mehr zu erfahren seyn, da seitdem schon dreihundert Jahre vorübergegangen sind. Das Wunder zog das Volk mächtig an, es entstand eine Kirche, die Andacht wuchs mit jedem Tage und die Wallfahrt wurde landberühmt. Das reichliche Opfer, das da zu fallen kam, überzeugte allmälig auch die Priesterschaft, welch' herrlichen Gnadenschatz der Himmel in dieser windigen Höhe eröffnet; die Anfangs kleinen Gebäude wurden immer vergrößert und endlich im Jahre 1718 ward das neuerbaute stattliche Kloster dem Serviten-Orden übergeben.

So lebten diese »Diener Mariens« manches Jahrzehend in fröhlicher Frömmigkeit auf ihrem Gnadenberge, geehrt von den Männern, geliebt von den Weibern und freuten sich des nie versiegenden Segens, den die Gottesmutter, ihre eigenthümliche Herrin, über das Kloster ausgoß. Der ehrwürdige Convent grünte für und für und das steinerne Bild wirkte seine Wunder täglich und stündlich bis zum Jahre 1787, als Kaiser Joseph den frommen Verein auseinandergehen, die Gebäude verkaufen und das Marienbild den Berg herunterwandern ließ in die Kirche von Leifers zur bequemern zeitersparenden Andacht. Von jener Zeit her schreibt sich aber ein schwerer Zweifel, wo das wahre Gnadenbild zu finden sey. Die Diener Mariens behaupteten nämlich dazumal im Stillen, sie hätten nur eine Nachbildung abgegeben und das ächte wunderthätige Idol sey zurückgeblieben auf dem Weißenstein, den es sich selbst als seinen Ruhesitz erkoren. Dieser Glaube erhielt sich auch im Volke, das nach Kaiser Josephs Willensmeinung wenig fragte und noch stets den alten rauhen Steinweg zum Heiligthum auf dem Berge einschlug, jedoch nicht, ohne – Sicherheitshalber – auch das Bild in der Kirche von Leifers zu begrüßen. Es ist begreiflich, daß die Wallfahrer, wenn ihnen geholfen worden, nur selten angeben konnten, ob es unten oder oben geschehen sey.
So blühte viele Jahre lang ein reger, aber stiller Doppelkultus, bis die Serviten zu Innsbruck sich wieder des hohen Gnadenortes erinnerten, der einmal ihr Stolz und ihre Freude gewesen. Die »Erhebung des katholischen Bewußtseins« hatte auch diesen Orden ergriffen und er glaubte das Seinige thun zu müssen für gänzliche Wiederherstellung des alten heiligen Tirols. Im Jahre 1833 erbat er von dem Kaiser die Herstellung des Hospizes auf dem weihevollen Berge, fand aber noch kein geneigtes Ohr. Die Diener Mariens gaben gleichwohl das gute Werk nicht auf, sondern kauften vielmehr das alte Gebäude und bezogen es noch im selben Jahre. Als dies geschehen, erweichte eine höhere Macht auch das Herz des Kaisers und er genehmigte nachträglich die neue Ansiedelung.

Nun gewahrte aber das aufmerksame Auge der frommen Väter, daß aus alter Gewohnheit und kaum mehr zu rechtfertigendem Schlendrian in der Wallfahrtskirche zu Leifers doch noch einiges Opfer dargebracht werde, und es schien daher gerathen und nothwendig, auch dieses dem einzig wahren und ächten Marienbilde auf dem Berge zuzuwenden; denn daß dieses allein und kein anderes jenes alte ehrwürdige sey, welches der fromme Bauer ausgegraben, dies zeigte sich erst jetzt recht deutlich durch die vielen und unglaublichen Wunder, welche die steinerne Maria zu wirken anfing. Es kam nun darauf an, das Bild zu Leifers, das nebenbei auch nicht unglücklich fortexperimentirte, seiner angemaßten Wunderkraft zu entkleiden. Allein es zeigte sich hier, daß nichts schwieriger sey, als ein unächtes Gnadenbild, dem einmal etliche Mirakel gelungen, wieder von dieser seiner Unart abzubringen. Da alle Versuche scheiterten, so schien es denn nicht so fast zum Vortheil der ehrwürdigen Serviten als vielmehr der Mutter Gottes selbst, daß man nunmehro die Tradition umstürzte, in dem Bilde von Leifers das wahre und getreue Ebenbild der körperlosen Jungfrau im Himmel anerkannte, zugleich aber auch demselben den stummen Wunsch nach oben in's Herz legte, als empfinde es eine fast menschliche Sehnsucht nach der herrlichen Aussicht, der schönern Lage, der reinern Lust, dem anständigern Haushalt und den andern Bequemlichkeiten auf den Höhen des Weißensteins, sowie auch nach der geläuterten Gesellschaft der frommen Serviten, was ihm nicht zu verargen wäre, da es in unserm Dorfe hauptsächlich nur Floßknechte und Fuhrleute um sich sieht. Die Herren von Weißenstein baten daher dringendst um die Rückgabe des wunderthätigen Bildes.
Unser Gouverneur, aus dem gräflichen Geschlechte derer von Brandis, ein andächtiger Staatsmann, selbst Mitglied mehrerer frommer Brüderschaften, in welche er sich mit würdevoller Feier aufnehmen ließ, Verfasser eines lateinischen Gebetbuches und einer Geschichte Friedrichs mit der leeren Tasche, unser Gouverneur, der sich auch um die Verehrung der vierzehn Nothhelfer und mehrerer anderer obsuleter Heiligen namhafte Verdienste erworben hat, übersah die tiefe Bedeutung und volksthümlich religiöse Wichtigkeit dieser Sache keineswegs. Er ließ die Gemeinde vorerst durch den Propst von Botzen zur freiwilligen Herausgabe ermahnen, jedoch ohne Erfolg, sintemalen die Gemeinde behauptete, das wunderthätige Bild sey durch kaiserliche Uebertragung und unvordenkliche Verjährung ein Bestandtheil des Kircheninventars geworden und könne daher ohne Surrogirung eines andern gleich kräftigen Gnadenbildes nur mit empfindlichstem Schaden abgetreten werden; es sey auch letzteres um so weniger nöthig, als ja nach der früheren Aussage der Sachverständigen das wahre Bild noch immer auf dem Berge verehrt werde, jenes im Dorfe nur eine Nachahmung und ihnen daher wohl zu vergönnen sey, daß sie für gichtbrüchige, lungenschwache und andere Personen, die des Berges nicht mehr mächtig werden möchten, eine verhältnißmäßig zugänglichere Wallfahrt besäßen. Der Gouverneur war durch die Antwort keineswegs befriedigt, fand vielmehr jene Ansicht eher einfältig als weise und gab nunmehr selbst den Befehl, das Bild herauszugeben.

Statt diesen Bescheid zu ehren, blieben aber die Leiferser mit bedauerlichem Eigensinn auf ihrem angeblichem Rechte stehen und behelligten sogar die höhern Stellen mit dem Streite um das Gnadenbild. Leider scheint auch, man weiß nicht wie, manche irdische Verstimmung sich eingemischt zu haben und die Leiferser nahmen Dinge zu Hülfe, welche sie zum Besten der Serviten vielleicht lieber aus dem Spiel gelassen hätten. Sie legten nämlich ihrer Streitschrift eine Schachtel bei, welche verschiedene Bilder, Täfelchen, Ablaßbriefe, geweihte Wasser für Vieh und Menschen und eben solche Brote enthielt, lauter Artikel, welche in einem wohl assortirten Laden neben dem Tempel der heiligen Jungfrau für ihre und ihrer Diener Wohlfahrt verkauft werden. Die oberste Hofstelle zu Wien, welche bei der in dem übrigen Kaiserstaate immer mehr überhand nehmenden Aufklärerei sich schon lange außer allem Verkehr mit Gnadenbildern halten soll, scheint die Vorlage mißverstanden und die pastorale Bedeutung dieser Erbauungsmittel gänzlich verkannt zu haben, – ja sie ging so weit Nachforschungen anzustellen, ob dieser »Unfug« noch bestehe. Die Serviten mußten fühlen, daß ihrer Andacht, ihrer Frömmigkeit und ihrem Eifer für die wahre Verehrung des ächten Bildes zu wenig Rechnung getragen werde und so nahmen sie ihr Gesuch »einstweilen« zurück, nicht ohne Hoffnung, daß einst auch für sie eine freundlichere Sonne leuchten werde. Diese heraufzuführen, ist, man muß es anerkennen, unser Gouverneur emsig beflissen; war er ja doch schon einmal Willens, das Nebenbild zu Leifers an der Spitze eines Bataillons der Kaiserjäger zu begrüßen und es mit kriegerischem Gepränge auf den Weißenstein zu führen; vielleicht das beste Mittel, um den Eigensinn der Leiferser zu brechen.

Noch alle Jahre begnadigte Se. Excellenz auch das Bild auf dem Weißenstein mit seinem hohen Besuche, wodurch diesem eine offizielle Beglaubigung erwuchs, die seine Lust, Wunder zu wirken, noch ungemein angeeifert zu haben scheint. Nichts desto weniger ist auch das Herz Sr. Excellenz nicht ganz frei von Zweifeln, die nur dann erlöschen werden, wenn das Bild von Leifers einst auf die Höhe von Weißenstein gebracht und dadurch die Möglichkeit gegeben seyn wird, die beiden Mütter Gottes zu vergleichen und die unächte herauszuerkennen. Unterdessen gibt die hohe Bedeutsamkeit, welche die wiederauflebende Wallfahrt in unserm Leben gewonnen, schon Anlaß zum heilsamsten Verkehre mit unsern italienischen Nachbarn. Bei der großen Zahl von Messen nämlich, welche durch die Wallfahrer bestellt werden, ist es dem deutschen Clerus unmöglich geworden, sie alle rechnungsmäßig abzulösen. So gehen denn alljährlich viele Hunderte dieser Messebestellungen nach Welschland, jedoch zu herabgesetzten Preisen, da dieselben dort um zehn bis zwanzig Prozente wohlfeiler verarbeitet werden als in Deutsch-Tirol. Der Ueberschuß verbleibt, worüber sich der Patriot nur freuen kann, in deutschen Händen und trägt nicht wenig bei zum gottgefälligen Leben unseres Clerus.
Die schlichte Erzählung der Geschichte von dem Gnadenbilde möchte übrigens darthun, daß wir hier zu Lande noch im Stande sind, das Irdische dem Ueberirdischen unterzuordnen und das Ewige nicht zu vernachlässigen über den Fragen der Gegenwart. Sollte sich auch das Projekt der Eisenbahn, die Etschregulirung, die Forstfrage und anderes Dergleichen in neuerer Zeit ungebührlich breit gemacht haben, so weiß Jeder, der unsere Verhältnisse genauer kennt, daß wir uns aus allen diesen Wirrsalen, Möglichkeiten und Unmöglichkeiten immer gerne wieder an der Hand unserer Priester zurückwenden zu den Angelegenheiten unsers ewigen Heils.
(Ende)

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